Das Cultural-Commons-Manifest
Kunst ist Kommunikation. Es gibt keine Meinungsfreiheit ohne Freiheit der Kunst.
Kommunikation ist “learning by doing“, stetige Fortentwicklung, das Reagieren auf andere,
die Wiederverwendung gleicher Ausdrücke und ihr Neu-Zusammensetzen zu neuer
Bedeutung, das wiederholte Ausdrücken der gleichen Bedeutung auf neue Weise, das
Paraphrasieren des bereits Begriffenen. Das gleiche gilt für die Kunst.
Kunst, als ein Ausdruck menschlicher Kultur, kann letztendlich nicht begrenzt oder
eingeschränkt werden, denn jede Begrenzung oder Einschränkung fordert Künstler_innen
heraus, diese auszuhebeln; jedes Tabu verlangt danach, gebrochen zu werden, in einem
Bild, in einem Lied, in einem Tanz, in Software-Code, vielleicht mit einem Schweigen. Die
einzigen Begrenzungen und Einschränkungen, die Bestand haben können, sind
diejenigen, auf die wir uns miteinander einigen, im ehrlichen und offenen Diskurs. Mit
anderen Worten: Kommunikation.
Reflexion und Inspiration
Kunst selbst ist weder gut noch schlecht, denn jede Bewertung wird unter dem Einfluss
ihrer Zeit vorgenommen, unter kulturellen Gewohnheiten, des historischen Kontextes und
der eigenen ethischen Vorstellung, um nur einige Faktoren zu nennen. Vielleicht besteht
sie überhaupt nicht in einem Werk, sondern in einem Prozess, der sich in allen vollzieht,
die mit einem Kunstwerk konfrontiert werden, es erleben, darüber nachdenken oder es
ganz und gar ablehnen. Kunst ist was sie mit uns anstellt; die Reflexion und Inspiration zu
der sie uns einlädt. Reflexion und Inspiration selbst sind weder gut noch schlecht. Sie sind
schlicht eine Notwendigkeit, um das Leben zu bewältigen. Das gleiche gilt für die Kunst.
Märkte im kulturellen Gemeingut
Im Prinzip gehört Kunst allen Menschen gleichermaßen, und alle Menschen haben das
gleiche Recht, zu diesem kulturellen Gemeingut beizutragen. Wenn Kunstwerke zu
Handelswaren werden, ist dies von allen beteiligten Seiten zu respektieren. Dies soll
freilich nicht bedeuten, dass Kunstwerke grundsätzlich kostenlos sein sollen. Alle am
gemeinsamen Austausch beteiligten Seiten haben auch dies zu respektieren. Der Handel
mit Kunstwerken soll dazu dienen, das Entstehen und Bewahren von Kunst zu fördern und
sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Dies ermöglicht uns allen unsere
eigene Reflexion und Inspiration.
Die Kulturindustrie soll mit Hilfe der Kunst gedeihen können, aber Kunstwerke dürfen
niemals von ihr in bestimmte Richtungen gelenkt, verstümmelt, erzwungen oder auf
andere Weise manipuliert werden. Die jeweiligen Märkte dürfen von der Kunst abhängen,
doch niemals die Kunst von diesen Märkten.
Respekt für die Urheber_innen
Die Überzeugungen und Wünsche der ursprünglichen Urheber_innen von Kunstwerken
sollen der wichtigste Ratgeber sein, um zu entscheiden, wie mit den Werken umzugehen
ist. Urheber_innen sollen niemals gezwungen werden, diese Überzeugungen und
Wünsche aufzugeben, oder anders gesagt: ihre Rechte. Insbesondere dürfen sie nicht
durch unverständliche Verträge, fehlende Fakten oder falsche Versprechungen zur
Aufgabe ihrer Rechte überlistet werden. Wann immer Urheber_innen irgendwelche Rechte
für ein Kunstwerk abtreten, soll dies das Ergebnis einer sachkundigen Entscheidung sein.
Es muss den Urheber_innen daher möglich sein, Zugriff auf alle notwendigen
Informationen und Ressourcen zu erhalten, um diese sachkundige Entscheidung zu
treffen. Angemessene Zeit ist eine dieser Ressourcen.
Urheber_innen und Publikum zusammenbringen
Dienstleister_innen und Unternehmen, deren Aufgabe es ist, Kunstwerke zu vertreiben
und sie von den Urheber_innen an die Empfänger_innen zu vermitteln, sollen vor allem
diesen beiden dienen: Urheber_innen und Empfänger_innen. Sie sollen ihre eigenen
Interessen nicht über deren Interessen stellen, denn damit schränken sie die Rechte der
Urheber_innen ein, womöglich sogar die Rechte von uns allen. Sie würden die freie
Entstehung und Rezeption von Kunst verhindern, anstatt kreative Märkte, kunstvolle
Kommunikation, Reflexion und Inspiration überhaupt erst so zu ermöglichen, wie sie es sollten.
Nur wenn sie sich fair gegenüber Urheber_innen und Empfänger_innen verhalten, werden
auch diese bereit sein, sie wiederum fair zu behandeln. Künstler_innen wollen etwas
geben, das Publikum will etwas dafür zurückgeben. Man muss keinem von beiden
etwas gewaltsam wegnehmen.
Dienstleister_innen und Unternehmen sollen es beiden Seiten ermöglichen, auf jede
gewünschte Weise miteinander in Austausch zu treten. Sie sollen Urheber_innen als
Produzent_innen dienen und sie nicht wie ihr Produkt behandeln. Sie sollen sie vielmehr in
die Lage versetzen, mit sämtlichen neuen Möglichkeiten des Austausches, der
Kommunikation und der Transaktion zu experimentieren, statt ihnen aus reinem Eigennutz
die Konzepte von gestern aufzuzwingen. Der Handel kann ein legitimes Mittel sein, um
Künstler_innen die Motivation und die Möglichkeiten für das Schaffen von Kunstwerken zu
erhalten. Aber er muss sich dabei ständig neu überprüfen lassen, wie dienlich er diesen
beiden ist: Urheber_innen und Empfänger_innen.
Respekt für Andersdenkende
Wenn sich Dinge verändern, müssen wir oft neue Wege für den Umgang damit finden. Wir
werden unterschiedlicher Meinung sein, unterschiedliche Ideen und Ansichten zu
vorgeschlagenen Lösungen haben. Oft gibt es gar keine beste Lösung, sondern
alternative Ansätze, mit denen ähnliche Ziele erreicht werden können. Das Finden dieser
Lösungen ist eine Aufgabe, kein Krieg. Alle beteiligten Seiten sollen einander deshalb mit
dem gebotenen Respekt begegnen. Sie sollen stets nach bestem Wissen kommunizieren
und sich falscher Anschuldigungen oder absichtlicher Fehlinformationen enthalten. Kritik
ist höchst willkommen und wichtig, sollte jedoch nicht auf bloßer Ideologie basieren, egal
ob es sich um neue Ideen oder alte Gepflogenheiten handelt. Wenn wir es nicht schaffen,
dies aufrechtzuerhalten, berauben wir uns womöglich selbst der besten Lösungsoptionen.
All dies ist ein Prozess, kein Zustand. Und das gleiche gilt für die Kunst.